Text & Bilder: Felix Erichson
Auf der Suche nach dem Minimalgenom.
Die Genomgröße eines Organismus ist von verschiedenen Komponenten abhängig. So haben Organismen größere Genome, wenn sie unterschiedlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt werden. Dadurch entstehen Gene, die nur unter bestimmten Lebensbedingungen aktiv sein müssen. Organismen mit kleineren Genomen leben in Bereichen mit konstanten Umwelteinflüssen und sind optimal an diese angepasst. Hier hat eine Genomreduzierung stattgefunden. Das kleinste bekannte Genom besitzt M. genitalium mit 525 Genen [Hutchison et. al., 1999].
Wie groß muss ein Genom sein, um bei optimalen Lebensbedingungen überleben zu können?
Wenn ein Organismus unter optimalen Lebensbedingungen lebt, dann sind konstante und dem Organismus zugeschnittene Umwelteinflüsse gemeint. Hierbei stehen immer ausreichend Nährstoffe zur Verfügung, die Temperatur, der Druck und die Luftzusammensetzung sind konstant. Dadurch muss sich der Organismus nicht an wechselnde Lebensbedingungen anpassen. Unter solchen Bedingungen benötigt ein Organismus nur eine minimale Anzahl an Genen, um lebensfähig zu sein.
Mit der Frage, wie viele Gene es braucht, damit eine Zelle leben kann, beschäftigten sich unter anderem die Autoren Mushegain und Koonin im Jahr 1996. Sie verglichen die Genome von M. genitalium und H. influenzae und kamen zu dem Ergebnis, dass das minimale Set an Genen bei 256 liegen könnte. Dies ist allerdings nur eine theoretische Annäherung an ein Minimalgenom [Mushegain & Koonin, 1996].
Eine Arbeit aus dem Jahr 2016 näherte sich der Frage nach dem Minimalgenom nicht nur theoretisch, sondern praktisch im Labor. Die Arbeitsgruppe um Craig Venter stellte einen Arbeitsablauf vor, mit dem man zum Einen Bakterien mit einem synthetischen Genom herstellen kann und zum Anderen, wie man diese Genome auch optimieren kann. Durch eine solche Optimierung schufen sie einen lebensfähigen Organismus mit dem kleinsten Genom der Welt, kleiner noch als das von M. genitalium [Hutchison et. al., 2016]. Wie dieser Arbeitsablauf funktioniert und was die Ergebnisse dieser Studie sind, soll im Folgendem zusammengefasst erläutert werden.
Wie stellt man einen synthetischen Organismus her?
Der Prozess, um einen synthetischen Organismus herzustellen, ist die Grundlage, um ein möglichst kleines Genom zu finden. Dieser Prozess ist ein Zyklus, der aus drei Schritten aufgebaut ist. Der erste Schritt ist das Genom-Design am Computer. Danach wird das Genom synthetisch hergestellt, welches anschließend durch eine Genomtransplantation in einen Organismus getestet werden kann. Dieser Zyklus erinnert an einen genetischen Algorithmus (Infobox 1). Dieser Prozess wurde entwickelt, als der erste synthetische Organismus JCVIsyn1.0 erschaffen wurde [Gibson et. al., 2010]. (TedTalk von Craig Venter zum Thema ). Das Genom von JCVIsyn1.0 ist eine Kopie von M. mycoides und wurde komplett synthetisch hergestellt. Dieses Genom war später auch die Grundlage der Genomreduzierung, da sich der synthetische Organismus schneller teilt als M. genitalium und somit der Testvorgang effizienter gestaltet werden kann.
Genetische Algorithmen finden in der Informatik und Mathematik Anwendung. Sie versuchen auf Grundlage biologischer Methoden ein Parameterset zu optimieren. Man geht wie folgt vor: Zuerst werden eine Population erstellt und den Parametern unterschiedliche Werte zugeordnet. Jede einzelne Wertkombination ist ein Individuum. In der Biologie hat auch jeder Mensch eine leicht unterschiedliche Zusammensetzung von Basen im Genom. Dann wird Selektionsdruck ausgeübt. In der Mathematik nimmt man hier Energiefunktionen, welche anhand der Werte ein Ergebnis berechnen und dieser Wert sollte dann besser als ein vorgegebener Schwellwert sein. Ist er das nicht, wird das Individuum aus der Population entfernt. Die verbleibenden Individuen erfahren dann Mutation oder Rekombination. Das heißt, es werden zufällig Werte verändert oder vertauscht. Und dann wird wieder selektiert. Dieser Prozess wird so lange wiederholt, bis eine optimale Lösung erreicht ist.
Das Problem dabei ist, dass man sich nie sicher sein kann, ob es noch weitere Kombinationen gibt, die besser sind. So auch bei der Suche nach dem Minimalgenom. Es kann sein, dass eine komplett andere Kombination von Reduzierungen zu einem viel kleinerem Genom führt. Deshalb spricht man auch immer von Annäherung oder Approximation, da eine optimale Lösung nur durch unendliche Zeit und unendliche Ressourcen mit 100%iger Sicherheit gefunden werden kann [Weicker, 2015].
Schtitt 1: DESIGN
Abbildung 1: Design
Durch die Kombination von Erkenntnissen aus der Literatur und bereits vorhandenen bzw. selbst erstellen
Transposonmutagenesedaten, können am Rechner Genome designed werden.
Die Grundlage für das Design bildet ein bereits existierendes Genom. Bei der beschriebenen Arbeit von Hutchison et. al. 2016 war das das synthetische Genom JCVIsyn1.0. Dieses Genom wurde in acht Segmente (Kassetten) unterteilt, die einzeln verändert und dann mit intakten Segmenten kombiniert werden können. Ein kurzes Beispiel: Man nehme ein Segment und reduziere einige Gene, das Segment wird kleiner. Dieses veränderte Segment kombiniert man dann mit den restlichen sieben unveränderten Segmenten. Daraus entsteht dann ein reduziertes Genom. Dieses wird getestet und man kann erkennen, ob die Reduzierung in dem Segment sinnvoll war oder nicht. So kann man die Segmente einzeln verändern und frei kombinieren. Die Kombinationen und Reduzierungsmöglichkeiten scheinen dabei aber unendlich. Deshalb nimmt man experimentelle Daten und Literaturwissen zu Hilfe (Abbildung 1). Hierbei gibt es zwei grundlegende Herangehensweisen. Die Erste ist, sich nur auf bereits existierende Literatur und experimentelle Daten zu stützen oder zweitens, selbst experimentelle Daten erzeugen. Bei der ersten Methode kann man nur am PC ein hypothetisches Genom designen. Dabei nimmt man bereits existierende Daten von Transposonmutageneseexperimenten (Infobox 2). Bei der zweiten Variante führt man selbst globale Transposonmutagenese am Genom von JCVIsyn1.0 durch. Dabei schaltet man Gene aus und beobachtet, wie der Organismus darauf reagiert. Dadurch lassen sich Gene identifizieren, die wichtig, weniger wichtig oder nicht wichtig für das Überleben scheinen.
Beim Design kommt es nicht nur darauf an, ein Genom zu erstellen. Es ist vor allem wichtig, die DNA so zu
designen, dass man auch die darauffolgenden Schritte bearbeiten kann. Im nächsten Schritt, in dem das
synthetische Genom gebildet werden soll, benötigt man zunächst Oligonukleotide
.
Das sind kleine synthetische DNA-Abschnitte, die nicht größer als 30 Basenpaare (bp) sind. Diese
Oligonukleotide müssen so designt werden, dass sie zu einem ganzen Genom zusammengesetzt werden können [Hutchison et. al.,
2016].
Ein Transposon oder auch springendes Gen ist ein Gen, welches seine Position im Genom ändern kann. Dadurch kann es zu Mutationen in den bestimmten Genen kommen, da sich durch die Positionsänderung des Transposons die Abfolge der Basen ändert und das Gen nicht mehr richtig funktioniert. Diesen Prozess kann man auch gezielt einsetzen, um Mutationen in Genen zu verursachen, die sogenannte Transposonmutagenenese. Mit dieser Methode können nun Gene ausgeschaltet werden und man kann damit den Einfluss des ausgeschalteten Gens auf den Organismus prüfen. Mit diesen Erkenntnissen können dann die Gene im Genom einer Wichtigkeit zugeordnet werden und man kann im Weiteren entscheiden, welche Gene wohl wichtig, weniger wichtig oder nicht wichtig für den Organismus sind [Hutchison et. al., 1999].
Schritt 2. BUILD
In diesem Schritt soll das designte Genom synthetisiert werden. Dabei erfolgt zuerst die Synthetisierung der
Oligonukleotide. Diese kann man bequem bestellen oder mit den nötigen Geräten auch selbst herstellen. Die
kleinen Nukleotidsequenzen werden nun mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion zu größeren Abschnitten mit
einer Länge von von 1400 bp zusammengesetzt . Fünf dieser Fragmente
werden zusammengefügt und in einen Vektor
(Plasmid) eingefügt. Dabei entstehen 7000 bp große Fragmente
. Davon
werden 15 Stück in Hefe zu einem der
acht Segmente zusammengesetzt
. Nun kann man, wie
eingangs erwähnt, die acht großen Fragmente kombinieren und
in Hefe zu einem ganzen Genom zusammensetzen
.
Einen Überblick über diesen Prozess gibt auch die Abbildung
2.
Zwischen den Schritten wird das Genom auch kontrolliert, also sequenziert, um Fehler hier zu vermeiden. Auch
wurden Fehlerkorrekturverfahren in diesem Prozess eingeführt und optimiert [Hutchison et. al.,
2016].
Abbildung 2: Design
Mit einem designten Genom können Oligonukleotide synthetisiert werden. Diese werden dann durch
verschiedene Assembly Schritte zu einem gesamten Genom zusammengesetzt.
Schritt 3: TEST
Um die Funktionalität des Genoms zu prüfen, muss man das Genom in einen anderen Organismus transplantieren. Dafür isoliert man das fertige Genom aus der Hefe und überträgt dieses dann in einen Organismus, welcher auch ein Genom besitzt. Das synthetische Genom besitzt Gene, die dafür sorgen, dass das Ursprunggenom aus dem Organismus entfernt wird. Dann übernimmt das transplantierte Genom die Kontrolle über die Zelle. Den Organismus, der als Hülle verwendet wird, nennt man auch Chassis, im Beispiel ist der Chassis M.capricolum. Der synthetische Organismus kann nun in einer Petrischale ausgestrichen werden. Wenn der Organismus wächst, können dabei die Wachstumsrate, Größe und Aussehen (Phänotyp) geprüft werden (Abbildung 3) [Hutchison et. al., 2016].
Abbildung 3: Genomtransplantation & TEST
Das synthetische Genom kann in ein Chassis transplantiert werden. Dabei wird das vorhandene Genom des
Chassis entfernt und das synthetische Genom übernimmt die Kontrolle der Hülle. Der dabei entstandene
synthetische Organismus kann nun auf phänotypische Merkmale untersucht werden.
Mit dem vorgestellten Zyklus konnte eine Methode optimiert werden, mit der man die Genomreduzierung durchführen kann. Auf der Suche nach dem Minimalgenom wurden zwei Ansätze verfolgt. Als erstes hatte man versucht, ein Genom allein mit Informationen aus der Literatur und durch die vorhandenen Daten zu erstellen. Diese Herangehensweise ergab zwar ein sehr kleines Genom aber keinen überlebensfähigen Organismus. Ein lebensfähiger Organismus wurde hier mit einem reduzierten Fragment in Kombination mit sieben intakten Fragmenten erreicht.
Der andere Designansatz war erfolgreicher und führte zu einem Genom indem alle acht Segmente reduziert vorliegen und auch die Genanzahl kleiner ist als das kleineste bekannte Genom. Die Designgröße liegt hierbei bei 473 Genen und 531.000 bp. Dieses Genom konnte auch einen lebensfähigen Organismus vorbringen und wurde JCVIsyn3.0 benannt [Hutchison et. al., 2016].
JCVIsyn3.0 der Organismus mit dem kleinsten Genom der Welt
Der Organismus hat ein Genom mit der Größe von 531 kb und 473 Genprodukten und ist somit 50 kb kleiner als das Genom von M. genitalium und nur halb so groß wie das Genom von JCVIsyn1.0. Wenn man die Funktionen der Gene betrachtet, die JCVIsyn3.0 besitzt, so sind 17% für den Stoffwechsel der Zelle verantwortlich. 18% der Gene sind mit der Zellmembran assoziiert. Da der Organismus kaum eigene Nährstoffe erstellen kann, muss er diese aus dem Medium beziehen und dafür braucht er eine ganze Reihe an Transportern in der Zellmembran. 41%, der größte Anteil, codieren für das Ablesen der genetischen Information und der Bildung von Proteinen. 7% der Gene sind mit der Erhaltung der Erbinformation assoziiert und von 17% der genetischen Information ist die Funktion unbekannt. Das bedeutet, dass 17% offenbar essentieller Gene unerforscht sind.
Das Erscheinungsbild des Organismus JCVIsyn3.0 unterscheidet sich in einigen Punkten von JCVsyn1.0. Zum Einen ist die Koloniegröße von JCVIsyn3.0 kleiner als die von JCVIsyn1.0, was auch auf eine geringere Wachstumsrate hinweist. Die Verdopplungszeit von JCVIsyn3.0 ist drei Mal so lang wie die seines genetischen Vorbilds, aber immer noch viel geringer als die von M. genitalium. Außerdem bildet JCVIsyn3.0 in späten Wachstumsphasen verfilzte Sedimente aus, welche als ausgedehnte Netzwerke von langen, fadenförmigen Strukturen beschrieben werden. Im Vergleich zeigen sich also einige Unterschiede zwischen den beiden synthetischen Organismen. Dennoch führt dieses Minimalgenom zu einem teilungsfähigen Organismus und das Potential dieser Erkenntnis ist noch längst nicht ausgeschöpft [Hutchison et. al., 2016].
Und jetzt?
Neben der Suche nach weiteren noch kleineren Genomen, sollte man sich mit den unbekannten 17% der Gene beschäftigen, um das eingangs erwähnte Ziel zu erreichen, jede Funktion eines einfachen Organismus zu kennen. Das Potential dieser Arbeit liegt aber auch in der vorgestellten optimierten Methode, synthetische Organismen herzustellen. So ist es möglich, synthetische Genome herzustellen, die bestimmte Funktionen erfüllen können. Es ist sozusagen eine Pipeline zur Herstellung von genetischem Lego, welches man dann zu Genomen zusammenbaut. Wenn die Methodik zum Design synthetischer Genome weiter optimiert wird und dadurch immer weniger Tests durchgeführt werden müssen, scheinen die Möglichkeiten fast grenzenlos. Das gilt nicht nur für die Forschung, sondern auch in der Industrie und möglicherweise sogar in privaten Haushalten.
Literaturnachweise:
- [Gibson et. al., 2010] – Gibson, Daniel G.; Glass, John I.; Lartigue, Carole; Noskov, Vladimir N.; Chuang, Ray-Yuan; Algire, Mikkel A. et al. (2010): Creation of a bacterial cell controlled by a chemically synthesized genome. In: Science (New York, N.Y.) 329 (5987), S. 52–56. DOI: 10.1126/science.1190719.
- [Hutchison et. al., 2016] – Hutchison, Clyde A.; Chuang, Ray-Yuan; Noskov, Vladimir N.; Assad-Garcia, Nacyra; Deerinck, Thomas J.; Ellisman, Mark H. et al. (2016): Design and synthesis of a minimal bacterial genome. In: Science (New York, N.Y.) 351 (6280), aad6253. DOI: 10.1126/science.aad6253.
- [Hutchison et. al., 1999]. – Hutchison, C. A.; Peterson, S. N.; Gill, S. R.; Cline, R. T.; White, O.; Fraser, C. M. et al. (1999): Global transposon mutagenesis and a minimal Mycoplasma genome. In: Science (New York, N.Y.) 286 (5447), S. 2165–2169. DOI: 10.1126/science.286.5447.2165.
- [Mushegain & Koonin, 1996] - Mushegian, A. R.; Koonin, E. V. (1996): A minimal gene set for cellular life derived by comparison of complete bacterial genomes. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 93 (19), S. 10268–10273. DOI: 10.1073/pnas.93.19.10268.
- [Weicker, 2015] Weicker, Karsten (2015): Evolutionäre Algorithmen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Weiterführende Literatur für Interessierte:
-
Hefeengeneering
(Synthese, Assembly, Cloning von Bakteriengenomen in Hefe)
Lartigue, Carole; Vashee, Sanjay; Algire, Mikkel A.; Chuang, Ray-Yuan; Benders, Gwynedd A.; Ma, Li et al. (2009): Creating bacterial strains from genomes that have been cloned and engineered in yeast. In: Science (New York, N.Y.) 325 (5948), S. 1693–1696. DOI: 10.1126/science.1173759. -
Genomtransplantation
Lartigue, Carole; Glass, John I.; Alperovich, Nina; Pieper, Rembert; Parmar, Prashanth P.; Hutchison, Clyde A. et al. (2007): Genome transplantation in bacteria: changing one species to another. In: Science (New York, N.Y.) 317 (5838), S. 632–638. DOI: 10.1126/science.1144622.